Franz Brutar: Geächtet, verfolgt, aber nicht unterzukriegen!

Im September 1952 feierte die Ortsorganisation der SPÖ Lend ihr 50-jähriges Jubiläum. Nationalrat Josef Voithofer erinnerte sich damals in der “Salzburger Wacht” an seinen letzten Besuch bei Franz Brutar (1865-1936), dem Gründer der Ortsgruppe und einem der ersten sozialdemokratischen Vertrauensmänner im Bezirk Zell am See.


Im Jahr 1891 konstituierte sich erstmalig ein Salzburger Landesparteikomitee, zu dessen Vorsitzenden Franz Egger aus der Stadt Salzburg gewählt wurde. Auch in den Landgemeinden formierte sich die Arbeiter:innenbewegung, neben Franz Brutar aus Lend waren Johann Gehwolf (Werfen), Georg Koller (Taxenbach), Simon Abram und Richard Herzog (Saalfelden) sowie Jakob Viehauser (Dienten) die ersten genannten  Vertrauensmänner.


Franz Brutar, im Bezirk Baden in Niederösterreich geboren, kam 1888 als Schustergeselle nach Lend und sollte die folgenden Jahrzehnte unzählige Arbeiter für die Sozialdemokratie begeistern. Die kleine Pinzgauer Gemeinde wurde dabei schon früh zu einem zentralen Ort der politischen und sozialen Auseinandersetzungen in Salzburg.

Dort befand sich eine alte Goldwäscherei samt Schmelzhütte, die 1862 aufgelöst wurde. Ab dem Jahr 1887 wurden die leerstehenden Anlagen adaptiert und in eine Asbestfabrik umgewandelt, in der 80 bis 90 Arbeiter unter menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen schuften mussten. Nur vier Jahre später brannte die Fabrik ab.

Daneben hatte der Fuhrwerksverkehr ins Gasteinertal bis zur Fertigstellung der Tauernbahnteilstrecke Schwarzach-Badgastein (Tauernbahn Nordrampe) im September 1905 eine große wirtschaftliche Bedeutung für Lend. Dort waren zwischen 250 und 300 Postpferde stationiert, um die Reisenden weiterbefördern zu können. Während des Bahnbaus erlebte dieses Gewerbe eine zusätzliche Expansion, da sämtliche Baumaterialien mit Pferdezügen ins Gasteinertal gebracht werden mussten.

Ein Lohnfuhrwerker um die Jahrhundertwende im benachbarten Zell am See.
Quelle: Bauer, Ingrid (1988). 100 Jahre Sozialdemokratie. Von der alten
Solidarität zur neuen sozialen Frage, Europaverlag, Wien, Seite 52.

Die Kehrseite des gutgehenden Geschäfts waren unzumutbare Arbeitsbedingungen und Arbeitstage zwischen 14 und 16 Stunden für die Kutscher der Postmeisterei und der privaten Fuhrwerke. Zuzüglich der ausgebeuteten Arbeiter der Asbestfabrik und der unzähligen Bauarbeiter des Vielvölkerstaates für den Bahnbau entwickelte sich Lend zu einem Brennpunkt der arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen. Verelendung, Krankheiten und Alkoholsucht erschwerten es den ersten sozialdemokratischen Vertrauensmännern jedoch zunächst, die Masse der Arbeiter zu organisieren.

“Eine neue Wendung ergab sich in Lend, als in den Jahren 1898 und 1899 von der Schweizer “Aluminium-Industrie-AG” Neuhausen das Karbid- und Aluminiumwerk aufgebaut und in Betrieb genommen wurde. […] Franz Brutar und seinen Freunden gelang es, nun auch einen sozialdemokratischen Verein in Lend zu organisieren und sie traten mit den Arbeitern in Badgastein, aber auch in Dienten in Verbindung, wo um diese Zeit bereits Jakob Viehauser begonnen hatte, die Bergknappen zu organisieren.” [1]

Trotz der ersten Erfolge waren die Widerstände enorm, wie die erstmalig durchgeführte 1. Maifeier im Jahr 1890 zeigte. Franz Brutar “war beim ‘Festzug’ der sechs Demonstranten Fähnrich. Ein auf einen Spazierstock gebundenes rotes Schneuztüchel war die Kampfesflagge des Tages” [2]. Es wurde jedoch wenig später von der Obrigkeit beschlagnahmt, Repressalien gegen die “Demonstranten” folgten.

Ein Jahr später marschierte Brutar alleine mit einer roten Nelke im Knopfloch, da er niemanden finden konnte, der mitkommen wollte. Doch seine Hartnäckigkeit sollte sich bezahlt machen: 1892 wehte eine rote Fahne aus “Schuhunterfutter” durch Lend, gefolgt von rund einem Dutzend Sozialisten. Wieder hagelte es Bestrafungen und Entlassungen.

Die bereits erwähnte Aluminiumfabrik brauchte nicht nur einen gewaltigen wirtschaftlichen Aufschwung mit sich, sondern ließ Lend auch zum Zentrum der sozialdemokratischen Arbeiter:innenbewegung im Bezirk Zell am See werden. Die sozialen Verhältnisse blieben jedoch bedrückend: Zwölfstundenschichten waren die Regel, an Sonntagen wurde sogar 18 Stunden am Stück gearbeitet. 1903 und 1905 kam es zu erbitterten Streiks, es folgten Entlassungen und die Anfertigung von schwarzen Listen. Gewerkschaftlich organisierte Arbeiter wurden nicht mehr aufgenommen.

“Es wurde auch ein Versuch unternommen, Franz Brutar sein Schustergewerbe zu entziehen, was aber mißlang. […] Der verlorene Streik in Lend brachte die sozialdemokratische Organisation fast zum Erliegen […]. Erst als der Geleisebau auf der Strecke Schwarzach-St. Veit-Wörgl im Jahre 1911 einsetzte, konnte auch die Organisation wieder an Kraft gewinnen.” [3]

Die “Salzburger Wacht”, die offizielle Parteizeitung der Sozialdemokrat:innen, dokumentierte über die Jahre unzählige Konflikte in der Aluminiumfabrik:

7. August 1903: “Heute kommt es nicht selten vor, daß Arbeiter 2 bis 3 Monate
hindurch zur Arbeit angehalten werden, ohne einen Sonntag oder anderenTag
frei zu bekommen.” (via ANNO/Österreichische Nationalbibliothek)

10. Juni 1904: “Als er dann nach dreiwöchiger Krankheitsdauer am 2. Mai die Arbeit
wieder aufnehmen wollte, wurde ihm […] schroff erklärt, daß aus Dienten kommende
Arbeiter nicht mehr eingestellt würden, weil dieselben nur Spitalsbrüder seien und
dergleichen mehr.” (via ANNO/Österreichische Nationalbibliothek)

14. Juli 1905: “Der Auszug der streikenden Arbeiter der Aluminium-Fabrik aus Lend
verdient allgemeine Beachtung. […] …aber ein Auszug von 180 Arbeitern, die seit
Bestand der Fabrik in einem Orte gearbeitet und welche sich in ihm gewissermaßen
eine zweite Heimat geschaffen haben, gehört zu den größten Seltenheiten.”
(via ANNO/Österreichische Nationalbibliothek)

Trotz all dieser Widrigkeiten ließ sich Franz Brutar nicht unterkriegen, wie Nationalrat Josef Voithofer 1952 in einem Zeitungsbericht festhielt:

“Viele Kämpfe hat dieser Pionier durchgekämpft, bis der Geächtete, Verfolgte, von der bürgerlichen Welt Ausgestoßene im Jahr 1919 von der Arbeiterschaft zum Bürgermeister von Lend gewählt wurde.” [4]

Text: Alexander Neunherz, veröffentlicht unter der Lizenz CC BY-SA 4.0;
Titelfoto(s): Bauer, Ingrid (1988). 100 Jahre Sozialdemokratie. Von der alten Solidarität zur neuen sozialen Frage, Europaverlag, Wien, Seite 49; Pfeiffenberger-Scherer, Erika (1990). Lend/Embach, eine Gemeinde im Wandel der Zeit, Eigenverlag der Gemeinde, Lend.
[1] Kaut, Josef (1961). Der steinige Weg. Geschichte der sozialistischen Bewegung im Lande Salzburg, Graphia Druck- und Verlagsanstalt, Salzburg, Seite 39.
[2] Salzburger Wacht (1952). Besuch bei Franz Brutar, Oktober 1952, Seite 4. 
[3] Kaut, Josef (1961). Der steinige Weg. Geschichte der sozialistischen Bewegung im Lande Salzburg, Graphia Druck- und Verlagsanstalt, Salzburg, Seite 48.
[4] Salzburger Wacht (1952). Besuch bei Franz Brutar, Oktober 1952, Seite 4.